»Viele haben Angst, Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren«
Ein Gespräch mit Martin Keßler
Sie touren zur Zeit mit Ihrem neuen Dokumentarfilm »Raubzug nach Amazonien« durch die Bundesrepublik. Wie sehen die Arbeitsbedingungen freier Dokumentarfilmer aus?
Der Job bringt eine enorme Arbeitsverdichtung mit sich. Der Film muss hergestellt werden. Kamera mache ich selber. Öffentlichkeits- und Pressearbeit ist zu erledigen, Veranstaltungen sind zu organisieren, um den Film zu zeigen. Es braucht zudem eine ausreichende Finanzierung, was im Laufe der Jahre zunehmend schwieriger geworden ist. Mein aktuelles Filmprojekt »Countdown am Xingu VI – Raubzug nach A mazonien« wird von Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen gefördert.
Inwiefern ist die Finanzierung in den vergangenen Jahren schwieriger geworden?
Früher förderten partei- und gewerkschaftsnahe Stiftungen meine Arbeit mitunter mit Beträgen von bis zu 10.000 Euro. Das tun sie heute kaum noch. Es fehlt ihnen oft am notwendigen langen Atem. Sie fördern einen Film oder vielleicht zwei, tragen aber keine Langzeitbeobachtung über zehn Jahre mit. Zudem sind einige nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26. Februar abgeschreckt. Demnach muss ATTAC mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit rechnen, weil das globalisierungskritische Netzwerk versuchen soll, mit Kampagnen die politische Meinung zu beeinflussen. Das Urteil entfaltet seine »toxische Wirkung«, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung kommentierte. Zu befürchten ist, dass kritische Vereine und Verbände finanziell ausgetrocknet werden.
ATTAC hat Ihre Filme mitfinanziert?
Nein, das nicht. ATTAC und andere haben die politische Bildungsarbeit gefördert, die ich mit meinen Veranstaltungen leiste. Die Qualität kritischer Dokumentarfilme besteht darin, verschiedene gesellschaftliche Spektren miteinander in die Debatte zu bringen. Genau das ist aber kaum mehr möglich. Viele Organisationen haben Angst, den Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren und Ärger mit dem Finanzamt zu bekommen. Dabei leben wir doch in einer Zeit, in der wir Impulse einer lebendigen Zivilgesellschaft brauchen – im Hinblick auf den Klimawandel, die Machenschaften von Großkonzernen und Lobbyisten oder das Erstarken des Rechtspopulismus. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro spricht mit Blick auf regierungskritische Organisationen von Terroristen. Der erste Schritt zum Aufbau eines illiberalen Systems besteht darin, de
mokratische Institutionen zu zerlegen und zu entmachten. Nichts anderes unternehmen Bolsonaro oder US-Präsident Donald Trump. Soweit sind wir bislang hierzulande nicht.
Warum beantragen Sie keine Filmförderung?
Es geht darum, eine kritische Debatte zeitnah anzustoßen, solange das Thema virulent ist und öffentlich Wirkung erzielen kann. In meinem neuen Dokumentarfilm zeige ich etwa, wie sich seit dem Amtsantritt Bolsonaros das politische Klima in Brasilien verändert. Am 1. Januar habe ich begonnen zu filmen. Ein Vierteljahr später war der Film fertig. Würde ich abwarten, um mir zuvor eine solide Filmförderung zu besorgen, und dann drei Jahre an dem Projekt arbeiten, wäre das so nicht möglich.
Wäre es nicht Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Allgemeinbildung zu gewährleisten?
Jahrelang habe ich für Dokumentationsformate von ARD und anderen gearbeitet, die anspruchsvolle Themen mit aktuellem Bezug publiziert haben. Aber der Trend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geht leider dahin, verstärkt populäre Sichtweisen zu zeigen. Allerdings erlebe ich auch immer wieder, dass gesellschaftskritische Filmarbeit geschätzt und gefördert wird: Für »Countdown am Xingu VI« gab es den mit 1.000 Euro dotierten Publikumspreis des Neustrelitzer Naturfilmfestivals. Zudem hat das »Klimabündnis der europäischen Städte« verschiedene Sprachfassungen des Films mit EU-Mitteln finanziert, so dass er jetzt europaweit gezeigt wird. Interview: Gitta Düperthal Siehe auch Seite 11