neueWUT

Dokumentation sozialer Protestbewegungen

Vereinzelter Protest oder neue soziale Bewegung?

Montagsdemos gegen Hartz IV, Arbeitskämpfe, Autobahnblockaden gegen Studiengebühren. Es ist vor allem Wut, die die Menschen auf die Straße treibt: Wut über die schamlose Bereicherung bei „denen da oben“ und immer neue Einsparungen „bei denen da unten“. Hinter dieser Wut steht oft genug blanke Angst. Die Angst, endgültig sozial abzustürzen. Und ein Gefühl der Ohnmacht.

Das Filmprojekt

Seit 2003 begleitet das dokumentarische Langzeitprojekt „neueWUT“ „einfache Demonstranten“ und sogenannte „Rädelsführer“ verschiedener Protestwellen. Aber auch ihre jeweiligen Kontrahenten – z. B. Gerhard Schröder oder Roland Koch. Und fragt: Woher kommt diese Wut?

Der Film „neueWUT“ (90 min, 2005)

Als erster Film der dokumentarischen Langzeitbeobachtung über soziale Protestbewegungen entsteht in den Jahren 2003 bis 2005 der Dokumentarfilm „neueWUT“ (90 min, 2005). Über die Proteste gegen Hartz IV und die Agenda 2010, die schließlich zum Ende der Regierung Schröder und zum Entstehen der Linkspartei führen.

Bereits im Herbst 2003 misstrauen immer mehr Bürger den Verheißungen, neue Arbeit und Wohlstand werde nur durch immer weiteres Sparen, durch immer härtere Schnitte ins soziale Netz oder Lohnkürzungen geschaffen. Eine Politik, die ohne Alternativen sei, wie die Regierung Schröder immer wieder erklärt. Immer mehr Menschen beklagen dagegen „die soziale Schieflage“ der eingeleiteten oder angekündigten „Reformen“. „Reformen“, die immer öfter als „Abstraf-Aktionen“ empfunden werden. Für all jene, die beim „Leistungsmarathon“ in den Unternehmen nicht mehr mithalten können oder „die unser Wirtschaftssystem schlicht nicht mehr braucht und sie deswegen auf Schmalkost setzt“, wie ein Demonstrant erklärt.

Bis in die Mittelschichten grassiert daher die Angst vor dem sozialen Absturz. Und diese Angst bricht sich schließlich auch auf der Straße Bahn. Vermischt mit Wut. Eine Wut, die zum Teil durch Großdemonstrationen der Gewerkschaften kanalisiert wird, oder die sich spontan Luft macht, wie bei den Anti-Hartz-Protesten. Stellvertretend für viele haben wir die arbeitslose Bankangestellte Barbara Willmann aus Frankfurt a. M. für „neueWUT“ mit der Kamera begleitet. Und den arbeitslosen Bürokaufmann Andreas Ehrholdt aus Magdeburg, der zu den ersten Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV aufgerufen hat.

Auch in den Betrieben brodelt es 2003 / 2004. Ob bei Mercedes, Opel oder VW. Die Automobilarbeiter sollen auf Lohn verzichten, millionenschweren Sparprogrammen zustimmen. Andernfalls seien die deutschen Produktionsstandorte in Gefahr. In Südafrika, Asien oder Polen könne man kostengünstiger produzieren, sagt das Management. Viele Beschäftigte wollen sich das nicht bieten lassen und ziehen vor die Werkstore. Doch wie dem Management die Stirn bieten? Streiken oder Verhandeln? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Auch innerhalb der IG Metall.

Martin Keßler und sein Team haben u.a. im Herbst 2004 den Arbeiter Paul Fröhlich mit der Kamera begleitet – während des großen Streiks bei Opel Bochum. „Wir haben nicht nur mit den Automobilarbeitern über ihre Wut gesprochen“, erläutert der Filmemacher, „sondern auch mit den protestierenden Arbeitslosen und Studenten. Für viele ist das Maß gestrichen voll. Die sind stinksauer. Nur wie schafft man es, all diese Zumutungen – von Studiengebühren bis Hartz IV – zu stoppen? Und wie soll eine andere Politik denn aussehen? Darüber ist man sich lange noch nicht einig“.

Ob es sich bei den verschiedenen Protestwellen bereits um eine neue soziale Bewegung handelt – für den Erhalt des Sozialen, gegen den blanken Terror der Ökonomie, für eine gerechte Globalisierung? Oder ob man das letzte Gefecht zur Verteidigung des deutschen Sozialstaates erlebt, der schon bald einem globalen „Turbo-Kapitalismus“ mit notdürftiger Armenfürsorge Platz machen wird? Darüber sind die Meinungen geteilt – im Herbst 2004. Nicht nur unter den Demonstranten. Darüber und über andere grundlegende Fragen haben wir seinerzeit u.a. mit dem Sozialwissenschaftler Pater Friedhelm Hengsbach gesprochen. Auch mit Gewerkschaftsführern wie Frank Bsirske oder Michael Sommer. Und Politikern wie Wolfgang Clement, Oskar Lafontaine oder Gregor Gysi.

Außer einer Chronik der laufenden Ereignisse und Analysen liefert der Dokumentarfilm „neueWUT“ auch eine spannende Innensicht der sozialen Proteste in den Jahren 2004 / 2005. Ihrer Vor- und Rückschritte. Der Schwierigkeiten, zu Gemeinsamkeiten zu finden. Die filmische Langzeitbeobachtung zeigt zudem, wie etablierte Politik und Medien reagieren und was geschieht, wenn die erste Wut verraucht ist und sich nichts oder nur wenig ändert.

Die Filmreihe und das „Label“ „neueWUT“

Der Film „neueWUT“ wird ab Sommer 2005 auf Hunderten Veranstaltungen gezeigt und findet ein überwältigendes Medienecho (siehe Pressespiegel rechts). Im öffentlich – rechtlichen Fernsehen jedoch wird er nicht gezeigt – aus politischen Gründen. Dafür haben ihn inzwischen „Haupt – und Staatsarchive“ in ihre Bestände übernommen – als historisches Zeitdokument.

Denn lange bevor die „mainstream – Medien“ den „Wutbürger“ für sich entdeckt haben, fragt der Film „neueWUT“ nach den gemeinsamen Motiven und Ursachen verschiedener sozialer Proteste. Und wird zum Startschuss für eine ganze Reihe: 2006 folgt der Dokumentarfilm „Kick it like Frankreich – der Aufstand der Studenten“ (60 min) und 2007 „Das war der Gipfel“ (80 min) über den globalisierungskritischen Protest gegen den G 8 – Gipfel Heiligendamm.

In den folgenden Jahren entstehen weitere, kürzere Filme zum Thema: u.a. über die spanischen „Indignados“ und die „Occupy“- und „Blockupy“ – Bewegung. Da es sich dabei nicht um abendfüllende Dokumentarfilme sondern um 15 oder 30 minütige „dokumentarische Momentaufnahmen“ handelt, erscheinen sie in der neuen Reihe „KRISEN-SPLITTER“ (siehe diese webseite). Mit dieser Reihe setzen wir die „neueWUT“ – Beobachtungen fort. Bis heute.

Der Begriff „neueWUT“ wird schließlich zum Synonym für unsere gesamte Arbeit – zu der u.a. auch die Langzeitbeobachtung „Count – Down am Xingu / Tapajos“ (siehe diese webseite) gehört. Und so können wir im Mai 2015 „10 Jahre neueWUT“ feiern – mit einer großen Retrospektive im Frankfurter „Naxos – Kino“.



neuester Film aus der Reihe neueWUT

Reise in den Herbst

alles wie gehabt oder Zeitenwende?

Neuer Dokumentarfilm von Martin Keßler (ca. 143 min., 2017)

Angesicht der aktuellen politischen Entwicklung stellen wir unseren großen Dokumentarfilm von 2017 auf youtube. Als Vorgeschichte der jetzt allenthalben ausgerufenen Zeitenwende.

Filminhalt:
Alexander Gauland und Alice Weidel nehmen sich bei der Hand und reißen die Arme hoch! Die Wahlparty skandiert: AfD! AfD! Dann singen sie das Deutschlandlied.13 Prozent! Die AfD im Deutschen Bundestag.! Draußen vom Alexanderplatz schallt es herüber: „Ganz Berlin hasst die AfD!“ Und „Nationalismus, raus aus den Köpfen!“.

Januar 2017. Ich sitze im Zug von Frankfurt nach Koblenz. Meine „Reise in den Herbst“ beginnt: Zu Marine Le Pen, Geert Wilders und Frauke Petry. Angela Merkel und Martin Schulz. Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler erklärt mir die „kannibalische Weltordnung“ und Opel – Arbeiter zeigen mir ihre Fabrik, die platt gemacht wurde. Ich treffe „Einfache Leute“, die ihre Miete kaum noch zahlen können und Andreas Ehrholdt, der einst die Hartz IV – Proteste begann. Spreche mit Europa – Begeisterten von „Pulse of Europe“ und Nürnberger Berufsschülern, die die Abschiebung ihres Klassenkameraden verhindern wollen. Und ich treffe „Revolutions – Romantiker“ mit einer Kanone und Holzgewehren, die auf einen grundlegenden Umsturz hoffen. Dann der G – 20 Gipfel in Hamburg – mit Massenprotesten und dem größten Polizeiaufgebot in der Geschichte der Bundesrepublik. Da komme ich gerade von der Beerdigung Helmut Kohls.

„Reise in den Herbst“ ist eine Reise durch Deutschland. Ein Land, das scheinbar blendend dasteht. Trotz Donald Trump, „Flüchtlingswelle“, islamistischen Terroranschlägen und AfD. Wäre da nicht das mulmige Gefühl einer „Zeitenwende“ , die uns alle betreffen wird.

 

Premieren:

Di. 19.9.2017, 19.30 Uhr, Naxos Kino, Frankfurt/Main
Fr. 22.9.2017, 20.00 Uhr, BABYLON, Berlin (Mitte)

anschließend Tournee

Anfragen für Veranstalter: siehe Verleih

DVD ab sofort erhältlich: siehe Bestellung

 

„Reise in den Herbst“ startet zu Beginn des Jahres 2017. Eines Jahres mit richtungsweisenden Wahlen. In den Niederlanden, Frankreich, Deutschland. Und in dem sich viele fragen: Erleben wir jetzt auch in Europa und Deutschland den Durchmarsch der Rechtspopulisten? Schlammschlachten auf niedrigstem Niveau? In denen Fremde, Flüchtlinge als Sündenböcke dienen. Um von den eigentlichen Fragen abzulenken?: Nach den Ursachen des Vertrauensverlustes in etablierte Parteien und Institutionen. Und wie man dem begegnen soll. Ist das „alte System“, gar der Kapitalismus, am Ende? Und was kommt danach?


Weitere Filme aus der Reihe neueWUT

DAS WAR DER GIPFEL!

Über die Proteste zum G8-Gipfel Heiligendamm 2007 – neueWUT III

Dokumentarfilm von Martin Keßler (90 min, 2007)

«neueWUT III – DAS WAR DER GIPFEL!« ist eine spannende „Chronik der Tage von Rostock und Heiligendamm“: ob beim Austausch unter StudentInnen und Gewerkschaftsjugendlichen im Protestcamp Reddelich, bei Aktionen gegen Billiglöhne (Lidl) oder zum Tag „Flucht und Migration“, beim Alternativgipfel und den Blockaden am Zaun – wir sind mit der… weiterlesen

KICK IT LIKE FRANKREICH – Der Aufstand der Studenten – neueWUT II

Über die Proteste gegen Studiengebühren, für das Recht auf kostenlose Bildung

Dokumentarfilm von Martin Keßler (60 min, 2006)

Die neue Wut hat inzwischen auch die Studenten erfasst. Ob in Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder in Hessen gehen tausende Studenten auf die Straße, um gegen die Einführung von allgemeinen Studiengebühren zu protestieren. Für das Recht auf kostenlose Bildung, gegen die schleichende Privatisierung des Bildungswesens und die soziale Ausgrenzung von Studenten aus… weiterlesen

»neueWUT« – vereinzelter Protest oder neue soziale Bewegung

Über die Proteste gegen Hartz IV, den Streik bei Opel Bochum und den Anfang vom Ende der Regierung Schröder

Dokumentarfilm von Martin Keßler (90 min, 2005)

Montagsdemos gegen Hartz IV oder der Arbeitskampf bei Opel. Es sind Wut und Angst, die die Menschen treiben: Wut über die schamlose Bereicherung bei „denen da oben“ und immer neue Einsparungen „bei denen da unten“. Und die Angst, sozial abzustürzen. Endgültig. Im Mittelpunkt des Films stehen die Arbeitslose Barbara Willmann,… weiterlesen